Aubrey Powell von Hipgnosis und Fotograf Anton Corbjin im Interview

Aubrey Powell Anton Corbijn Banbury 2020 Copyright Anton Corbijn

Anton Corbjins Dokumentarfilm „Squaring The Circle“ erzählt die Geschichte der Designagentur Hipgnosis und deren Kreativ-Duo Storm Thorgerson und Aubrey Powell. Ihre Freundschaft zu den frühen Pink Floyd führt zu ihrem ersten Auftrag für das Albumcover zu „A Saucerful Of Secrets“.

Interview von Christian Biadacz

Zwischen 1969 und 1983 gestalten sie mehr als 400 Plattencover, u.a. für Led Zeppelin, Peter Gabriel, 10CC und Paul McCartney. Heute ist die Firma quasi eine Legende im Bereich des Albumcover Artwork.Eines der erfolgreichsten Alben der Welt, „The Dark Side Of The Moon” von Pink Floyd, feiert in diesem Jahr sein fünfzigstes Jubiläum. Ein halbes Jahrhundert, in dem jedes Jahr durchschnittlich eine Million Exemplare davon verkauft wurden. Und genauso oft wurde damit das dazugehörige Plattencover reproduziert – ein Lichtstrahl, der auf ein Prisma fällt und auf der anderen Seite alle Farben des Regenbogens zeigt. Es ist das wahrscheinlich berühmteste Plattencover der Welt. In Berlin Kreuzberg ist seit dem Wochenende eine Ausstellung zu diesem Cover-Artwork in der Browse Gallery zu sehen. Einer der Schöpfer dieses Covers, Aubrey Powell, war aus diesem Anlaß vor Ort und brachte gleich noch den Fotografen und Filmemacher Anton Corbjin mit, der einen Dokumentarfilm über Powells Albumcover-Schmiede Hipgnosis gedreht hat. Den Film gibt es zwar seit letztem Jahr schon als Stream zu sehen, am Wochenende wurde er jedoch erstmals in Deutschland auf einer Leinwand gezeigt.

Anton Corbijn erscheint sehr unprätentiös zum Interview, trägt Dreitagebart, einen grauen Hoodie und ist merklich nicht zurecht gemacht. Aubrey Powell hingegen trägt Anzug, einen Seidenschal und ist ganz englischer Gentleman.

Wer hatte die Idee zu diesem Dokumentarfilm?

Aubrey Powell: Der britische Schauspieler Colin Firth, ein Oscar-Preisträger, kam auf mich zu und fragte mich, ob ich Interesse daran hätte, einen Film über Hipgnosis zu drehen. Er wusste eine Menge über Hipgnosis, und so trafen wir uns zusammen mit seinem Produzenten zum Mittagessen. Als die Rede darauf kam, wer die Regie führen sollte, sagte ich sofort: Es gibt meiner Meinung nach nur einen Regisseur, der einen Film über Hipgnosis machen kann, mit Stil und Elan, wahrheitsgetreu erzählt. Und das war Anton Corbijn. Und dann bin ich zu ihm gegangen.

Anton Corbijn: (Schmunzelnd) Er hat mich überredet.

Colin Firth..?

Aubrey Powell: Ja. Ich war sehr überrascht als er anrief und mich fragte, ob schon mal ein Film über Hipgnosis gemacht worden sei. Und ich sagte: Na ja, es waren Dokumentarfilme, aber nichts wirklich Großes. Und er sagte: Nun, ich möchte einen richtigen Spielfilm über Hipgnosis machen. Und als ich ihn traf, war ich erstaunt über sein Wissen über Hipgnosis. Er kannte alle Plattencover. Er wusste alles über sie. Er wusste, wer wir waren und was wir gemacht hatten. Alles.

Anton Corbijn: Das ist ein Typ, der B-Seiten kennt. Außerdem kennt er die Namen von Schlagzeugern…

Aubrey Powell: Oh, ja, ja. Völlig nutzloses …

Anton Corbijn: … Wissen. Das hatte ich auch, als ich jung war. Aber am Ende ist es eben doch nützlich.

Aubrey Powell: Ja, absolut. Und das hat mich davon überzeugt, daß Colin definitiv der Richtige für die Produktion ist, und dann entschieden wir uns für Anton als Regisseur.

Die Stars im Film

Im Film erzählen große Stars wie Jimmy Page, alle lebenden Pink-Floyd-Mitglieder oder Paul McCartney über die Zusammenarbeit mit Hipgnosis. Wie schwierig war es, sie alle für Interviews zu gewinnen?

Aubrey Powell: Hier kommen eine Menge Egos zusammen. Bei großen Rockstars muss man manchmal über Leichen gehen. Aber eigentlich war es nicht schwer. Das Interview mit Jimmy Page von Led Zeppelin ist ein gutes Beispiel. Als ich mit ihm darüber sprach, antwortete er: Anton Corbin, Hipgnosis, Led Zeppelin… Da bin ich dabei! Es war die Liebe zur Arbeit von Hipgnosis, der Respekt davor, weshalb sich alle dazu entschieden, mitzumachen. Und das ist wunderbar. Im Film sieht man all diese großen Künstler, die sich positiv über Hipgnosis äußern, und zwar auf eine sehr humorvolle Art und Weise, denn es gab eine Menge Abenteuer und Lacher bei der Arbeit an diesen Albumcovern. Das kommt in dem Film zum Ausdruck, und Anton hat etwas ganz Besonderes geschaffen, ein wirkliches Vermächtnis von Hipgnosis.

Die genannten Stars waren ja wohl auch Fans eurer Cover-Artworks?

Aubrey Powell: Ja, natürlich. 1969 gestalteten wir unser erstes Cover für das Pink Floyd Album „Saucerful Of Secrets“. Dann noch eins und noch eins. Als wir im Jahr 73 „The Dark Side of the Moon“ machten, steigerte das unser Ansehen ungemein. Plötzlich hatten wir Led Zeppelin am Telefon, Genesis, Peter Gabriel, Paul McCartney. Plötzlich waren wir das bevorzugte Studio. So fing es also an. Und dann, wie bei allem, so auch bei Anton mit U2 und Depeche Mode, entstehen persönliche Beziehungen, die in meinem Fall und in seinem Fall 40 oder 50 Jahre andauern. Und das ist ungeheuer hilfreich, wenn man versucht, einen Dokumentarfilm wie diesen zu machen.

Aubrey Powell und das Vertrauen

Das war auch gut für die künstlerische Freiheit bei den Projekten, denke ich.

Aubrey Powell: Es geht um Vertrauen. Du findest das in der Arbeit von Anton für Depeche Mode. Und ich habe die gleiche Beziehung zu Led Zeppelin oder Pink Floyd zum Beispiel. Und dieses Vertrauen wächst und wächst und wird so unglaublich, daß man zu einem Teil der Familie wird. Genau so wie es in dem Film beschrieben wird.

Ich finde es ganz interessant, daß Anton seine Karriere als Fotograf und Albumcover Designer in etwa begann als Hipgnosis aufhörte. Das war ja fast wie einen Staffelstab zu übergeben.

Anton Corbijn: Ja, ich habe gewartet bis er aufhört … (lacht). Nun, ja. Ich meine, der größte Unterschied zwischen uns, glaube ich, ist, daß ich Post-Punk bin und Hipgnisis Pre-Punk. Das ist so ungefähr die Trennlinie. Das ist auch der Grund, warum es mir wichtig ist, auch im Film-Genre erfolgreich zu sein denn das ist für mich ein Post-Punk Designmedium. Und es gibt natürlich noch viele andere Unterschiede, denn Po (Powells Spitzname, d.A.) und Storm waren geborene Designer, zu denen man wegen einer Plattenhülle ging. Zu mir kommen die Leute, um ein Foto zu machen.

Und manchmal fragen sie: Willst du nicht auch noch das Cover machen? Aber ich bin nicht wirklich ein Plattencover-Designer. Ich mache es gerne, und ich habe damit angefangen, weil ich unzufrieden war wie die Leute meine Bilder verwendeten. Aber, weißt du, abgesehen von ein paar Sachen für Herbert Grönemeyer und all den Depeche Mode Sleeves entwerfe ich gar nicht so viel, es ist nicht meine Hauptbeschäftigung.

Der gute Beobachter Anton Corbijn

Ich denke, Sie haben aus der Liebe zur Fotografie heraus angefangen. Aber eigentlich sind Sie eine Art universeller visueller Künstler geworden. Sie haben Albumcover gestaltet, Dokumentarfilme gedreht, abendfüllende Spielfilme gemacht, aber auch jede Menge Musikvideos. Mir wurde erst in der Vorbereitung zu diesem Interview bewusst, wie viele Musikvideos Sie gedreht haben.

Anton Corbijn: Ja, zu viele, weit über 80, glaube ich. Aber ich mache das kaum noch, weil ich das Gefühl habe, daß ich das, was ich mit Musikvideos erreichen wollte, erreicht habe. Ich möchte jetzt Filme machen. Und obwohl mir dieser Dokumentarfilm wirklich großen Spaß gemacht hat, glaube ich nicht, daß ich ein geborener Dokumentarfilmer bin. Ich glaube, ich stelle zu wenig Fragen.

Aubrey Powell: (Lacht) Ich glaube, Du stellst eine ganz schöne Menge Fragen. Ich saß drei oder vier Tage lang in einem Studio, um sie alle zu beantworten. Der Produzent sagte am Ende zu mir, wir hätten so viel Filmmaterial, das wir nicht verwendet haben, das wir locker einen zweiten Teil machen könnten.

Es hilft sicher, auch ein guter Beobachter zu sein.

Anton Corbijn: Oh, ja, als Fotograf schon. Aber als Filmemacher muss man natürlich mehr Verantwortung übernehmen. Man wird also zum Regisseur. Man kann nicht nur ein Beobachter sein. Aber als Fotograf, denke ich, kann man ein bißchen mehr so sein. Und ich bin von Natur aus ein schüchterner Mensch. Also kam mir die Fotografie entgegen. Um andere Dinge aus mir herausholen, über die ich mir bis dahin gar nicht bewußt war, fing ich an Filme zu machen.

Wurden Sie in ihrer Jugend von einem Album-Artwork von Hipgnosis inspiriert?

Anton Corbijn: Als ich aufgewachsen bin, war das die Blütezeit von Hipgnosis. Ich habe ihre Arbeit sehr bewußt wahrgenommen und oft gerätselt, wie sie das eine oder andere Motiv hinbekommen haben. Persönlich gefielen mir die auf einfachen Fotos basierenden Cover am besten, wie „Atom Heart Mother“ und die Peter Gabriel-Hüllen. Aber ich kann es gar nicht fassen (dreht sich zu Powell), wie Du das Cover zu „Houses Of The Holy“ gemacht hast? Mir hat es persönlich großen Spaß gemacht, gerade dieses Geheimnis in unserem Dokumentarfilm endlich zu lüften.

Aubrey Powell, Anton Corbijn und die Fußbälle

Sind die Arbeiten von Hipgnosis und Anton Corbijn wirklich so unterschiedlich; meist war doch auch bei Hipgnosis das Ausgangsmaterial eine Fotografie?

Aubrey Powell: Wir haben uns bei Hipgnosis als Fotodesigner bezeichnet. Und ich denke, das ist eine sehr treffende Beschreibung unserer Arbeit. Sie ist ganz anders als die von Anton, dessen Stärke es ist, brillante Porträts von Menschen zu machen. Seine Fotobücher sind umwerfend. Da gibt es unglaubliche Bilder von Johnny Cash, so wie man ihn vorher noch nie gesehen hatte. Anton hat einen wirklich einzigartigen Stil kreirt. Das haben wir nicht getan. Wir haben Bilder entworfen, sie der Band gezeigt und gesagt: Das wollen wir machen, wir fliegen mit 40 roten Fußbällen in die Sahara und fotografieren sie dort. Das ist eine ganz andere Herangehensweise und eine ganz andere Arbeitsweise als die von Anton …

Anton Corbijn: Ich würde nur einen Fußball verwenden.

Aubrey Powell: (Lacht) …Ja – in Schwarz-Weiß.

Es gibt also zwei bemerkenswert unterschiedliche Stile in unserer Arbeit. Und ich glaube, einer der Gründe, warum ich Anton als Regisseur ausgewählt habe und wollte, daß Anton der Regisseur wird, war, daß sein Stil so radikal anders ist. Es macht keinen Sinn, jemanden auszuwählen, der mehr oder weniger das Gleiche tut wie du selbst. Außerdem ist Anton es gewohnt, mit Hollywood-Stars zu arbeiten. Er hat „The American“ mit George Clooney gemacht, also nicht nur in Musikvideos gearbeitet. Er hat mit Philip Seymour Hoffman gedreht, dessen letzten Film. Und mein Lieblingsfilm ist „Control“ über Joy Division. Er ist komplett in Schwarz-Weiß gedreht und sehr emotional. Anton hat die Essenz dieser Band herausgearbeitet, indem er die Geschichte eines Musikers erzählt, der an der Schwelle zu wahrer Größe stand und einfach implodierte.

Mit der Figur des Ian Curtis, der Sänger, der sich umgebracht hat, wird sehr behutsam umgegangen, sie wird sehr einfühlsam dargestellt. Ich dachte mir, dieser Typ namens Anton versteht etwas von der Kunst Filme zu machen. Er kann das in einer Art dokumentarischem Stil wie bei „Control“, hat aber auch Erfahrung in Hollywood, in der Fotografie und der Arbeit mit Rock’n’Roll-Bands. Er kann also mit den Egos umgehen, die sich in all diesen Bereichen tummeln. Er kann einen Hipgnosis-Film machen, er kann dem Vermächtnis gerecht werden. Und ich denke, das Sahnehäubchen auf dem Kuchen ist der Film, den er jetzt gemacht hat.

Gab es ein visuelles Konzept für diesen Dokumentarfilm?

Anton Corbijn: Nein. Das Konzept entstand erst während der Dreharbeiten. Da es sich um einen Dokumentarfilm handelt, ist man von einer Menge Archivmaterial abhängig bei dem man kein Mitspracherecht hat, wie es gestaltet sein soll. Es gibt so viele Filme, die bereits über die sechziger und siebziger Jahre gedreht wurden, daß es sehr schwierig war, Originalmaterial zu finden, das man nicht schon 1000 Mal gesehen hat. Das meiste kollidierte ästhetisch mit dem was ich gedreht habe. Der Weg aus dem Dilemma war, alles in Schwarz-Weiß zu halten, Interviews und Archivmaterial.  Damit wird es schon ein wenig einheitlicher. Als Kontrast dazu haben wir die Albumhüllen. Sie sind ganz in Farbe. Sie sind die wichtigsten Dinge in deinem Leben, die farbenfrohen Dinge. Aber als ich anfing, wusste ich das noch nicht, so daß ich zunächst alle Interviews in Farbe gefilmt habe.

Ein Film über die Geschichte einer Bruderschaft

Was erwartet den Zuschauer?

Anton Corbijn: Nun, es ist ein großer Spaß, sich den Film anzusehen. Und das sage ich nicht über alle meine Arbeiten. Aubrey ist ein großartiger Geschichtenerzähler, und die Situationen, in die die Jungs geraten, sind manchmal zum Kaputtlachen. Ebenso wie die Reaktionen der Leute, für die sie gearbeitet haben. Und dabei entsteht dann dieses große Werk. Dann ist da auch die Freundschaft, die Bruderschaft zwischen Aubrey und Storm, die implodiert. Es gibt also auch diesen menschlichen Aspekt zwischen den beiden. Und am Ende schließt sich der Kreis, da sie sich als Freunde wiederfinden. Es ist also auch die Geschichte dieser Freundschaft. Am Ende wird es ziemlich emotional.

Es ist also kein Film ausschließlich für Musik-Nerds?

Anton Corbijn: Nein, nein, ganz und gar nicht. Aber wenn man Musik mag und ein wenig Vorwissen mitbringt, ist es wahrscheinlich noch etwas interessanter.

Aubrey Powell: Es ist ein ziemlich ernster Film. Es ist keineswegs eine triviale Rock’n’Roll-Dokumentation wie andere auch. Es ist, wie Anton schon gesagt hat, eine emotionale Achterbahnfahrt. Ich sehe es als eine Geschichte über Bruderschaft, denn ich liebte Storm wie einen Bruder. Es war zwar eine platonische Beziehung, aber eine sehr liebevolle. Und es herrschte lange Zeit ein großes Vertrauen zwischen uns. Am Ende implodiert es. Und das ist sehr dramatisch und sehr traurig. Storm ist 2013 gestorben und konnte uns seine Seite der Geschichte im Film nicht mehr erzählen. Aber Anton entdeckte eine Menge Filmmaterial, das noch nie zuvor gezeigt worden war, und fügte es in den Film ein, um Storm ein ausgewogenes Verhältnis zu mir als Erzähler zu geben.

Anton Corbijn: Mir war sehr wichtig, daß Aubrey und Storm möglichst gleichberechtigt zu Wort kommen, so gut wie das eben möglich war.

Squaring The Circle Poster

Aubrey Powell: Und das hat wirklich gut funktioniert. Ich denke, der Film zeigt unsere beiden unterschiedlichen Persönlichkeiten. Ich war zuallererst der Fotograf bei Hipgnosis und habe gemeinschaftlich an der Umsetzung der Ideen von Storm gearbeitet. Er war also der Mann mit den vielen Ideen und dabei ein sehr schwieriger Mensch, wie man im Film sehen wird. Es war nicht einfach, mit ihm zu arbeiten, und einige Kunden weigerten sich aufgrund seiner Persönlichkeit, mit ihm zu arbeiten. Aber wir kamen schon durch. Ich denke, daß die Unterschiede in unserer Persönlichkeit, die Anton im Film deutlich herausarbeitet, zu einer Spannung führten, die gut für unsere Arbeit war. Die Streitigkeiten, die Diskussionen, die Meinungsverschiedenheiten, die wir hatten, waren also tatsächlich alle zum Vorteil der Arbeit. Und deshalb waren alle unsere Arbeiten extrem gut durchdacht.

Es sind nicht einfach nur einfache Entwürfe, sie haben oft eine psychologische Wirkung, einen Tiefgang. Hinter den Bildern steckt mehr als was man zunächst sieht. Wir haben das aber damals niemandem erzählt. Oft hatte die Arbeit, die wir gemacht haben, nichts mit der Band zu tun, nichts mit den Texten, nichts mit dem Titel des Albums zu tun. Es war einfach eine gute Idee, von der wir dachten, sie würde ein interessantes Bild ergeben. Und wenn man sich die Leinwand für einer ausgeklappten Gatefold Sleeve Innenseite betrachtete, die ziemlich groß war, wirkte es wie ein Gemälde. Das ist jetzt alles weg. All das ist mit Spotify, YouTube und all dem anderen verschwunden. Ein Bild für ein Album oder für Musik an sich hat jetzt die Größe eines Daumennagels, es ist ein Thumbnail geworden.

Anton Corbijn: Es gibt eine tolle Geschichte mit Noel Gallagher in dem Film, in der er darüber spricht, daß seine Tochter keine Ahnung hat, was ein „Albumsleeve“ sein soll.

Oh, wirklich?

Anton Corbijn: Ja, wirklich.

Aubrey Powell und Storm Thorgerson

Wieviele Jahre hatte Hipgnosis, es müssen etwa 15 gewesen sein?

Aubrey Powell: Ja, eigentlich länger. Hipgnosis gestaltete 15 Jahre lang Plattencover. Aber Hipgnosis gibt es heute noch. Es ist immer noch meine Firma, und ich mache immer noch Filme und Plattencover und Designs unter dieser Flagge. Aber die eigentliche Album-Cover-Periode dauerte 15 Jahre, etwa von 1967 bis 1983. Danach haben wir eine Filmfirma gegründet, weil Musikvideos so beliebt waren. Und wie Anton haben wir angefangen, Musikvideos zu drehen. Wir haben Hunderte davon gemacht und waren damit sehr erfolgreich. Es war fantastisch. Aber schließlich gerieten wir in finanzielle Schwierigkeiten und die Beziehung mit Storm ging in die Brüche. Es war wie in diesem alten Sprichwort: Wenn das Geld zum Fenster hinausfliegt, fliegt die Liebe zur Tür hinaus. Genau das ist mit mir und Storm passiert.

Wie seht ihr beiden die Situation heute? Ihr habt ja bereits das Dilemma mit den Mini-Formaten im Digitalen angesprochen, aber es gibt ja auch dieses Vinyl-Revival…

Anton Corbijn: Ja, es ist schon eine Art Comeback, aber die Bedeutung von Plattenhüllen für die Gesamtgesellschaft ist verschwunden. Das finde ich schade, denn in den Siebzigern standen alle Informationen, die man über die Band oder ein Album erfahren wollte, auf der Plattenhülle oder in einer Musikzeitschrift, aber nicht im Internet, verstehst du? Jetzt findet man alles, was man wissen muss, im Internet. Man braucht keine Albumhülle mehr. Es ist nur noch ein Image, es geht nicht mehr um die Information. Diese Funktion, diese Bedeutung der Plattenhülle gibt es nicht mehr.

Aubrey Powell und die Zukunft

Schauen wir noch in die Zukunft. Aubrey, denkst Du, daß eure Albumcover in 100 Jahren einen ähnlichen Status haben werden wie heutzutage Gemälde, und daß wir in Museen gehen werden, um sie zu betrachten?

Aubrey Powell: Ja, ich bin der Meinung, daß Plattencover auch heute schon als Kunst betrachtet werden. Der Grund, warum ich das sage, ist, daß die Museen Ausstellungen von Plattencover-Designern akzeptieren. Hipgnosis hatte gerade eine große Ausstellung im Groninger Museum in Holland. Dort kamen innerhalb von vier Monaten 110.000 Besucher. Unsere Arbeiten werden nicht mehr als Wegwerfkunst angesehen, die man auf einem Stück Pappe entwirft. Bei Anton ist es dasselbe mit seinen Fotografien und seinen Plattencovern. Er wird sehr verehrt und hat eine Menge Ausstellungen, die sehr gut besucht sind. In den vergangenen 50 Jahren hat sich also ein Kreis geschlossen. Wir sind bereits als Kunstgattung anerkannt. Und das ist Musik in meinen Ohren.

Vielen Dank für das Gespräch.

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